Kinder & Hunde

…worauf man beim Zusammenleben unbedingt achten sollte

 

Die Nachfrage nach einem felligen Familienmitglied hat seit Beginn der Coronapandemie extrem zugenommen. Die Anfragen an Vereine, die Hunde aus dem Auslandstierschutz vermitteln, sind bemerkenswert hoch. Man könnte meinen, eine schöne Entwicklung. Doch neben den Fragen, die man sich jetzt unbedingt vor Adoption eines Hundes stellen sollte wie „Passen mein Leben und ein Hund generell zusammen? Kann ich seinen Bedürfnissen gerecht werden und das auch noch nach Zeiten von Lockdown und Homeoffice?“ gibt es bei der Haltung eines Hundes (egal, ob vom Züchter oder aus dem Tierschutz) zusammen mit Kindern unterm Dach weitere, besondere Herausforderungen. Auf diese möchte ich aus der Sicht eines Hundetrainers in diesem Text eingehen.


Statistisch gesehen:

Die meisten Beißvorfälle in Haushalten betreffen die Kinder der Familien. Besonders gefährdet sind dabei Kinder im Alter von 3-6 Jahren, vor allem Jungs. In dieser Alterskategorie häufen sich Bisse ins Gesicht, was u.a. an der Körpergröße der Kinder liegt (die Gesichter von Hund und Kind liegen quasi auf gleicher Höhe).

 

 

Warum das so ist & was Sie zur Prävention tun können:

 

1. Haushalt organisieren

Stellen Sie dem Hund einen geeigneten Rückzugsort zur Verfügung. Das kann z.B. eine Hundebox sein. Diese wird an einem ruhigen Ort in der Wohnung aufgestellt. Die Box sollte immer zugänglich sein und an einem nicht zugigen, aber schattigen Platz stehen, da sie sich sonst im Sommer schnell aufheizt. Der Hund findet hier Leckerlis oder etwas, womit er sich in Ruhe selbst beschäftigen kann (z.B. Kauartikel oder einen gefüllten Kong). Die Box ist vor allem für die Kinder absolute Tabuzone und wird niemals betreten, sonst verliert sie für den Hund ihren Wert als Rückzugsort. Sie sollte wie eine kleine Wellnessoase für das Tier betrachtet werden.
Geht es einmal rund im Wohnzimmer (Kindergeburtstag etc.), kann der Hund in ein anderes Zimmer verbracht werden, wo z.B. seine Lieblingsdecke liegt oder eben die Box steht. Oder aber man versperrt dem Hund den Durchgang ins Zimmer mit einem Laufgitter, so dass er zwar zuschauen kann, was passiert, aber nicht mitten im Gewusel unabsichtlich bedrängt wird.
Eine Hausleine (eine ca. 50 – 100 cm lange Schleppleine ohne Handschlaufe), die am Geschirr befestigt wird, hilft dabei den Hund ohne großes Aufheben aus brenzligen Situationen herauszuführen.
Stellen Sie Regeln auf! Hilfreich ist z.B. „Der Hund darf nicht aufs Sofa und nicht ins Kinderzimmer.“ Nicht, weil ein Hund dort grundsätzlich nicht hin darf, sondern um unkontrollierte Konfliktsituationen zwischen Kindern und Hund zu vermeiden. Zumindest in der Anfangszeit.
Ein geregelter Tagesablauf ist für alle Haushaltsmitglieder sinnvoll. Es sollte klar sein, wann wer im Mittelpunkt steht, z.B. wann mit dem Hund Gassi gegangen wird und wann Sie sich nur um die Kinder kümmern und mit Ihnen spielen. Man muss das nicht verbissen zu den exakt gleichen Zeiten einhalten, aber zumindest in ungefähren Zeitspannen.

Ein eigener und sicherer Rückzugsort ist enorm wichtig für Hunde.


2. Die Verantwortung der Eltern

Sie sind für die Sicherheit und das Wohlbefinden aller Mitbewohner*innen im Haushalt verantwortlich. Arbeiten Sie im Team – so wird das zusätzliche Familienmitglied nicht zur Belastung für die Hauptbezugsperson.
Haben Sie noch keine oder nur wenig Erfahrung mit Hunden? Dann müssen Sie die Körpersprache von Hunden verstehen lernen! Das ermöglicht Ihnen, Situationen richtig einzuschätzen. Die Körpersprache der Hunde ist vielschichtig. Da Hunde nicht wie wir Menschen in Wörtern und Sätzen mitteilen können, wie sie sich gerade fühlen, ist es wichtig, dass wir ihr Verhalten beobachten. Zum Beispiel kann Schwanzwedeln ein Ausdruck für Freude sein, aber auch eine andere Gemütslage anzeigen. Erkundigen Sie sich gerne bei Ihrer örtlichen Hundeschule nach einem Seminar zur Körpersprache. Sie, Ihre Kinder und nicht zuletzt Ihr Hund können davon nur profitieren.
In den sozialen Medien werden oft Fotos mit Herz-Emojis überschüttet und kommentiert, in denen ein Kind einen Hund innig umarmt. Auch bei Hundetrainer*innen schlägt da das Herz höher – aber eher aus Sorge um das Kind. In diesen Situationen zeigen Hunde häufig starkes Meideverhalten. Das ist ein deutliches Anzeichen dafür, dass die Situation kurz vor der Eskalation steht (unter dem Suchbegriff „Eskalationsleiter Hund“ finden Sie hierzu weitere Informationen).

 

Ich fasse nun einmal für Sie zusammen, welche Kommunikationsstrategien ein Hund i.d. Regel durchläuft, wenn er in eine Konfliktsituation gerät:

A. Deeskalation
Das sind Beschwichtigungssignale, wie über die Lefzen lecken, zwinkern, Kopf abwenden, ausweichen, sich auf den Rücken legen, wegdrehen, sich kratzen oder schütteln.

B. Drohen
Ersatz- oder Übersprunghandlungen (manche Hunde machen z.B. auch Spielaufforderungen), bellen, fiepen, knurren, Zähne fletschen (mit und ohne Züngeln).

C. Eskalation
In die Luft schnappen, schnappen (ohne zugefügter Verletztung), zubeißen (mit Verletzung), beißen und nicht mehr loslassen, töten.

Dieser Hund fühlt sich bedrängt und versucht zu beschwichtigen.

Es ist wichtig, die deeskalierenden, beschwichtigenden Signale eines Hundes richtig zu interpretieren und dementsprechend zu handeln. Sollte Ihr Hund eine der oben genannten Verhaltensweisen in einer Situation mit Ihrem Kind zeigen, dann nehmen Sie ihn ernst – egal wie klein und niedlich er sonst dreinschaut. Eine konkrete Handlung wäre: Kind oder Hund besonnen aus der Situation herausnehmen. Hierfür ist die bereits erwähnte Hausleine ein großartiges Hilfsmittel. Bewahren Sie dabei Ruhe und erhöhen Sie das Stresslevel der Beteiligten nicht.
Was häufig gemacht wird – aber absolut kontraproduktiv ist – ist einem Hund das Knurren zu verbieten. Denn sein Knurren ist ein klares Signal dafür, wie er sich in der Situation gerade fühlt. Man muss es daher als Warnung betrachten. Wird ihm diese Warnung „verboten“, wird es der Hund womöglich beim nächsten Mal mit der darauffolgenden Stufe der Eskalationsleiter versuchen.
Schon allein aus diesem Grund kann man folgern, dass Kind und Hund niemals zusammen alleine gelassen werden sollten. Kinder im Alter zwischen 3 und 6 Jahren können die Hunde-Körpersprache nicht lesen und haben zudem noch nicht die Fähigkeit, Gefahren richtig einzuschätzen. Daher müssen Eltern ihrer Aufsichtspflicht Rechnung tragen. Möchte ein Kind den Hund wiederholt mit seiner Liebe überschütten (Umarmen, intensives Kuscheln oder sich auf den Hund werfen) und bedrängt ihn dadurch massiv, wird sich das Tier irgendwann nicht mehr anders zu helfen wissen, als zuzuschnappen. Bei akut empfundener Bedrohung wird der Hund eskalierend handeln, um (aus seiner Sicht) seine Haut zu retten, ohne die vorhergehenden Sprossen der Eskalationsleiter zu durchlaufen. So lernt er, wie er sich Kinder schneller vom Leib halten kann und das möchte bestimmt keiner in der Familie.

Übrigens:

Einen Hund außerhalb des eigenen eingezäunten Grundstücks an der Leine führen, dürfen Kinder schon laut Gesetz nur dann, wenn sie dazu geistig und körperlich in der Lage sind (siehe bitte auch Hundehalterverordnung des jeweiligen Bundeslandes). Die Straßenverkehrsordnung präzisiert sogar: Kinder unter 14 Jahre sind generell ungeeignet einen Hund alleine an der Leine zu führen.

 

3. Aus Sicht des Hundes

Für einen Hund ist ein Haushalt mit menschlichen Rabauken immer eine Herausforderung, auch für eher gemütliche vierbeinige Zeitgenossen. Da Kinder momentan durch Homeschooling noch mehr Zeit im Haus verbringen, sind Auszeiten besonders wichtig. Gehen Sie also mindestens von allen täglichen Spaziergängen 1x allein mit dem Hund spazieren, damit er mit seinen hündischen Bedürfnissen ganz auf seine Kosten kommt.
Eine Hundeschule hilft nicht nur bei der Ausbildung eines Hundes, sondern bietet die Möglichkeit dem Hund ein Hobby zu gönnen, das ihm Spaß macht (sei es Agility, Dummy-Training, Nasenarbeit…). Auslastung, bei der das Köpfchen eines Hundes gefragt ist, ist allerdings physisch-aufputschenden Aktivitäten vorzuziehen. Zudem ist darauf zu achten, dass eine gute Hundeschule basierend auf positiver Verstärkung und auf dem Kenntnisstand moderner Lerntheorien trainiert.
Die Notwendigkeit eines sicheren Rückzugsortes für den Hund habe ich oben schon beschrieben. Bedenken Sie, dass ein Hund pro Tag im Durchschnitt ca. 17 – 18 Stunden ruht und/oder schläft (was für ein Leben, oder?). Daher ist die wichtigste Übung in der ersten Zeit nach Ankunft in Deutschland  in jedem Fall „Geh in dein Bettchen“. Gerade unsere Schützlinge aus dem Auslandstierschutz kommen aus sehr kargen Lebensverhältnissen in einen – aus ihrer Sicht – großen Luxus. Ein eindeutig zugewiesener Ruheplatz hilft ihnen mit den neuen grenzenlosen Möglichkeiten besser umzugehen.
Sehen Sie von einer „Willkommensparty“ für den neu angekommenen Vierbeiner ab und geben Sie ihm die Chance, sich in einem von ihm selbst gewählten Abstand an die neue soziale Situation zu gewöhnen. Bedenken Sie auch, dass kleine Kinder körpersprachlich für Hunde schwer einschätzbar sind. Das sorgt für eine erhöhte Wachsamkeit, wenn die Kleinen mit im Zimmer sind.
 Zudem sagt ein „Kindertest“ im Tierheim vor Ort nur bedingt etwas über das Zusammenleben in einem richtigen Haushalt mit Kindern unter einem Dach aus. Wie Hunde auch, so sind alle Kinder individuell in ihrem Charakter und Temperament. Es kann also trotz des zunächst bestandenden Tests irgendwann einmal zu Schwierigkeiten im Zusammenleben in einem Haushalt kommen.
Eine grundsätzlich sinnvolle Übung ist, den Hund für ruhiges Verhalten zu belohnen, egal wann, wo und mit wem. Das schult eine/n Hundehalter*in zudem darin, sich auf die positiven Seiten des Hundes zu konzentrieren.

Hunde genießen es häufig nicht, den Kopf getätschelt zu bekommen.

4. Spielregeln für das Kind

Damit die Kinder den Unterschied zwischen einem Kuscheltier und einem lebenden Tier begreifen und auf den richtigen Umgang mit Lebewesen vorbereitet werden, kann man einiges tun. „Der blaue Hund“ ist z.B. eine von Tierärzt*innen, Hundetrainer*innen, Kinderpsycholog*innen, Pädagog*innen und vielen anderen entwickelte App. Zugeschnitten auf die besonders vulnerable Altersgruppe, um den richtigen Umgang mit dem Hund spielerisch nahe zu bringen. Das Kind lernt durch Wiederholung in verschiedenen Alltagssituationen die richtige Entscheidung zu treffen, um Bisse zu vermeiden. Die App ist zwar kostenpflichtig, aber dafür wissenschaftlich fundiert. Sie finden sie in den üblichen AppStores.
Ein Plüschhund kann Wunder wirken, wenn es darum geht, das kindliche Streichelbedürfnis am nicht-lebenden Objekt in Bahnen zu lenken. Sie können dabei mit Ihrem Kind folgende Spielregeln etablieren: Alle Hunde (echte und unechte) werden immer zuerst gefragt, ob und wo sie gestreichelt werden wollen – so haben Sie die Möglichkeit den Gemütszustand des echten Hundes einzuschätzen, bevor Sie den Kontakt zwischen Kind und Hund zulassen. Signalisiert der Hund, dass er nicht in der Stimmung ist oder schläft er gerade, können sie das Streicheln auch auf den Plüschhund umlenken. Die Fantasie von Kindern hilft dabei enorm!
Richtiges Streicheln will gelernt sein: Nicht von oben auf den Kopf tätscheln, sondern mit ruhigen Bewegungen und flacher Hand an der Schulter anfangen. Niemals auf das Tier setzen, nicht umarmen usw. Gehen Sie auch beim echten Hund immer selbst mit gutem Beispiel voran, denn durch Abgucken lernen Kinder Gutes und Schlechtes gleichermaßen.
Etwas größeren Kindern stärkt man mit eigenen Aufgaben rund um den Hund ihr Verantwortungsbewusstsein. Lassen Sie Ihrem Kind z.B. einen zweiten Trinknapf immer nachfüllen, wenn er leer ist. Damit kann Ihr Kind seine Zuneigung zum Hund zum Ausdruck bringen. Ein persönlicher, kleiner Futterbeutel aus dem nur das Kind füttern darf und aus dem die Futterstücke dem Hund immer nur zugeworfen werden – nicht aus der Hand (!) – ist ebenfalls denkbar. Dadurch verknüpft der Hund auf Dauer etwas positives mit dem Kind.
Zudem könnte das Kind den Hund Tricks ausführen lassen, die vorher in der Hundeschule gut erlernt wurden.

Übrigens:

Der oft zitierte Welpenschutz greift bei Menschenkindern nicht. Deshalb rate ich davon ab, dass Kinder mit dem Hund wilde Spiele veranstalten (Bällchen werfen, zergeln oder Fangspiele). Damit verhindert man, dass nach dem Wurfgegenstand geschnappt oder das wegrennende Kind gejagt wird.

    Manche Hunde drehen beim Zergeln richtig auf.

 

Was tun, wenn es doch passiert?

 

❗️Nicht in Panik verfallen oder den Hund anschreien – das löst das Problem nicht. Bringen Sie den Hund sofort aus dem Zimmer, versorgen Sie Ihr Kind, atmen Sie durch. Leiten Sie die nächsten Schritte sofort nach dem ersten Vorfall ein. Wenn es einen Konflikt zwischen Kind und Hund gibt, löst sich dieser in den allermeisten Fällen nicht in Luft auf. Besorgen Sie sich einen Maulkorb, wenn Sie keinen haben. Dieser ist ausdrücklich nicht als Strafe gedacht. Das Tragen des Maulkorbs sollte im besten Fall schon positiv auftrainiert worden sein. Er verhindert, dass weitere Beißvorfälle geschehen und sollte im Haus getragen werden, wenn Kind und Hund zusammen sind.❗️
Kontaktieren Sie umgehend eine/n kompetente/n Hundetrainer*in (siehe dazu hier: Link). Solange Sie noch keinen fachlichen Beistand haben, sollten Sie Kind und Hund möglichst räumlich trennen.
Das anschließende Training sollte darauf zielen, Kind und Hund kontrolliert zusammenzuführen und nicht auf Strafaktionen basieren. Im ersten Moment sind Hunde auf jeden Fall von Strafen beeindruckt, wenn sie sich z.B. dem Kind nähern. Das sorgt auch für beeindruckende Fernsehmomente, aber dadurch steigen langfristig auch das Konfliktpotenzial und das Stresslevel.
Haben Sie das Gefühl, dass trotz ernsthaftem Training die Gefahr zu hoch bleibt oder Sie der Aufgabe beim besten Willen nicht gewachsen sind, geben Sie den Hund wieder in die Vermittlung. Lassen Sie sich nicht von gut gemeinten Ratschlägen aus Ihrem Dunstkreis bei dieser sicher schweren Entscheidung beirren.

 

 

Fazit:

 

Ein Hund kann eine riesige Bereicherung für eine Familie sein. Mit einem Hund aufzuwachsen, ist für viele Kinder eine wunderbare Sache und es muss nicht zwangsläufig zu Konflikten kommen. Nur ist es wichtig deutlich zu sagen, dass die Entscheidung einen Hund in einen Familienhaushalt mit kleinen Kindern unter 6 Jahren aufzunehmen, mit einer sehr großen Verantwortung auf Seiten der Eltern einhergeht. Diese Entscheidung sollte vor der Adoption eines Hundes daher mit allem Für und Wieder wohl durchdacht und gut geplant werden.